Mit dem Olympic Testevent und dem Hempel World Cup in Enoshima haben die SST-Athletinnen und Athleten die vorolympischeSaison 2019 abgeschlossen und starten nach einer kurzen und wohlverdienten Regenerationsphase nun in die intensive Wintervorbereitung. Schliesslich gilt es, sich wieder in Form zu bringen, um für die kommenden Qualifikationsregatten und hochgesteckten Ziele im Olympiajahr 2020 gewappnet zu sein.

Der Hempel World Cup in Enoshima war nach dem Tokyo Test Event und der 470er WM krönender Abschluss einer langen und intensiven Phase für das Swiss Sailing Team. Am letzten grossen Event in Japan war die Schweizer Delegation noch einmal stark gefordert, zumal die Bedingungen im Olympiarevier von 2020 geprägt waren von viel Wind, hohen Wellen sowie Hitze und grosser Luftfeuchtigkeit Ungeachtet dessen haben die Schweizer Seglerinnen und Segler bewiesen, dass sie sich auch bei unterschiedlichsten Windbedingungen in die TOP 10 der Welt platzieren können. Sowie bei Leichtwind und Flachwasser, als auch in 20 Knoten Wind und 3 Metern Welle lieferten das Nationalteam sowie der B-Kader mehrfach starke Wettfahrten ab. Gleichzeitig zeigte es sich, dass gerade bei solchen Bedingungen noch grosses Potential vorhanden ist.

Über die gesamte Saison 2019 gesehen haben die SST-Athletinnen und Athleten jedoch erfreuliche Resultate erzielt: Zu Buche schlagen drei Weltcup Bronze Medaillen(Maud Jayet im Laser Radial und Kilian Wagen/Grégoire Siegwart im 470er an der Hempel World Cup Series in Genua sowie Sébastien Schneiter/Lucien Cujean im 49er am Weltcup Finale in Marseille) sowie8 weitere Top-10-Platzierungen. Im kommenden Wintertraining gilt es nun primär, die fehlende Leistungskonstanz über alle Windbedingungen aufzubauen, um bis Mai 2020 die noch nicht erreichten Nationen Quoten und die persönliche Bestätigungskriterien in insgesamt 5 Disziplinen zu sichern. Ein Überblick über die ausstehenden Qualifikationsevents findet sich hier.

Interview Tom Reulein

Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie zufrieden bist Du mit der Saison 2019?
Die vergangene Saison pauschal über alle sieben Olympiaprojekte hinweg zu bewerten ist quasi unmöglich, dafür waren die Leistungen und Ergebnisse von Team zu Team zu verschieden. Auf der einen Seite haben wir immerhin 3 Weltcupmedaillen gewonnen und auch am Testevent in Enoshima mit über 25 Einzelergebnissen in den TOP 10 bewiesen, dass wir in bestimmten Windbedingungen ganz vorne mitsegeln und auch Wettfahrten gewinnen können. Das ist extrem wichtig für das Selbstvertrauen. Und auch wenn wir die Nationenquoten wie im Finn oder bei den 470er Damen nur ganz knapp verpasst haben: es zeigt sich eben, dass die Leistungsdichte in allen Olympiaklassen mittlerweile nochmals stark angestiegen ist. Selbst kleinere taktische oder technische Fehler wie beispielsweise in der Zone an der Luvtonne kosten nun nicht mehr nur ein oder zwei Plätze sondern man verliert gleich 6-8 Boote. Ein Frühstart in einer Serie von 16 Wettfahrten kann einen sogar aus den TOP 10 katapultieren. Alles in allem würde ich sagen, dass wir noch nicht ganz zu 100% dort sind wo wir hinwollen – aber sehr nah dran. Das gibt nochmal eine extra Portion Motivation für die intensiven vor uns liegenden Trainingsmonate im Winter!

Was hat in deinen Augen grundsätzlich gut geklappt?
Nun die seglerische Leistungsentwicklung vor allem im 470M (Wagen/Siegwart) und Finn (Theuninck) ist trotz des noch jungen Trainingsalters wirklich vielversprechend. Auch bei Eliot Merceron zeigen sich erste Früchte der Zusammenarbeit mit Trainer Daniel Mihelic. Schwieriger wird es dann schon im absoluten Topbereich, wenn man einen grossen Aufwand betreiben muss, um die letzten paar Prozentpunkte an Performance zu gewinnen. So hat beispielsweise Mateo Sanz Lanz durch einen enormen Effort im konditionellen Bereich seine Windrange, in der er nun absolut konkurrenzfähig ist, deutlich vergrössert. Ebenso wie Linda und Maja, die sogar bei 18-20 Knoten selbst amtierenden Weltmeisterinnen um die Ohren fahren können. Erfahrungsgemäss weisen vor allem die jeweils zweiten Olympiakampagnen auch mal ergebnisbezogene längere Stagnationsphasen und Rückschläge auf, denen man mit kühlem Kopf und systematischer Herangehensweise, aber mit aller Konsequenz begegnen muss. So gab es dann auch im Trainerbereich insgesamt drei Neuverpflichtungen, um für die letzten 10 Monate nochmal frischen Wind in den Entwicklungsprozess im 49er, 470W und im Radial hineinzubringen. Mit solchen absoluten Weltklassetrainern wie Jim Maloney oder Peter Krimbacher einerseits und stabilen Sparringspartnerschaften mit Topteams andererseits haben unsere Seglerinnen und Segler wirklich hervorragende Voraussetzungen für Höchstleistung in Tokio 2020.

Was weniger?
Die Wind- und Wellenbedingungen, welche wir in den vielen Wochen in Enoshima erfahren haben sind sehr variantenreich. Das heisst, wir müssen uns innerhalb des jeweiligen Performanceprofil eines Teams so weit wie möglich und sinnvoll zu Allroundern entwickeln, damit wir uns z.B. an Starkwindtagen nicht zu grosse Punktabstände einfangen. Auch generell beim Thema Racemanagement kann der ein oder andere bei uns noch weiter feinjustieren, damit wir unnötiges Risiko vermeiden, aber auch nicht zu konservativ an die Olympische Regatta herangehen. Denn da gibt es ja nur einen Streicher! Weiterhin entscheidend wird im nächsten Jahr sein, wie gut jeder einzelne mit seinem eigenen, aber vor allem dem externen Erwartungsdruck umgehen kann und das in erster Linie wenn es in einer Wettfahrt mal nicht so gut gelaufen ist. Auf den Punkt gebracht: Noch smarter, cooler und konstanter mit Vollgas segeln bei allen Bedingungen und das ganze bitte schön während der Spiele in Tokio!

Die Schweiz hat bis dato in den Olympiaklassen erst drei Nationenplätze geholt: Im Laser Radial, im 49er und RS:X. Die Nationenqualifikationen im 470er W sowie im Finn, wo die Schweiz jeweils vorne mitsegelt, aber auch im 470M sowie im Laser Standard, sind noch ausstehend. Auf alle Fälle wird es in Genua zum absoluten Showdown kommen, weil im Finn und 470M nur noch ein Platz unter den Europäern vergeben wird und die Konkurrenz sehr stark ist. Bei den 470er Damen und im Standard sieht es einen Tick einfacher aus, wenn man das überhaupt sagen kann. Was unseren Teams in die Karten spielt sind die überwiegend Flachwasser- und Leichtwindbedingungen, also Thunersee- oder Lake Geneva Conditions wie wir sagen. Das sind alle unsere Olympiaaspiranten nämlich sauschnell!

Worauf liegt folglich der Fokus in den kommenden Wintermonaten?
Jedes Team hat ja einen sorgfältig aufgestellten inhaltlichen Trainingsplan, der auf den Erkenntnissen der vergangenen Saisonanalysen sowie dem Höhepunkt in Enoshima stützt. Grundsätzlich gilt: man muss eben da trainieren, wo wir die Bedingungen vorfinden, in denen wir besser werden wollen. Zudem muss die notwendige Trainingsquantität und -qualität gesichert sein. Traditionellerweise haben wir die meisten Weltmeisterschaften vor den Spielen in Neuseeland oder Australien, sodass wir die klimatischen Vorzüge in Downunder auch fürs Wintertraining voll ausnutzen können. Tatsache ist, dass stabile Fortschritte in einzelnen Leistungsfaktoren vornehmlich von Oktober bis Dezember erreicht werden können. Deswegen sind die kommenden Monate fast schon als Weichenstellung für das nächste Jahr zu betrachten.