Die Schweizer Sportwelt steht still. Auch die Schweizer Sportlerinnen und Sportler sind zu «homeoffice» verdonnert, zumal sämtliche Sportstätten bis auf Weiteres geschlossen sind. Wie gehen die Schweizer Eliteseglerinnen und Segler mit der schwierigen Situation um? Und was ist die Rolle von SST in dieser Situation?
Nach der Verschiebung der Olympischen Sommerspiele 2020 um ein Jahr und der Absage resp. Verschiebung zahlreicher anderer Wettkämpfe steht die Sportwelt still. Viele Schweizer Profi-Sportlerinnen und -Sportler vor einer unklaren Zukunft und existenziellen Fragen. So meint Maja Siegenthaler beispielsweise: „Ich habe weder Trainings noch Wettkampf noch Uni“. Wie gehen unsere Eliteseglerinnen und –segler mit der schwierigen Situation um? Und was ist die Rolle von SST? SST-Teamchef Tom Reulein gibt Auskunft.
1) Tom, am Freitag hat das IOC die Verschiebung der Olympischen Sommerspiele um ein Jahr bekanntgegeben. Deine ersten Gedanken? Und was bedeutet dieser Entscheid nun für SST?
TR: Im ersten Moment waren wir alle erleichtert. Aufgrund der Coronakrise und den damit verbundenen massiven Einschränkungen im internationalen Reiseverkehr und im täglichen Trainingsbetrieb sowie der zahlreichen Eventabsagen war es schlichtweg unmöglich, sich ernsthaft auf die Olympischen Spiele in diesem Jahr vorzubereiten. Dass sich Swiss Olympic in Absprache mit seinen Sommersportverbänden klar für eine Verschiebung der Spiele eingesetzt hat fand ich sehr konsequent. Nachdem nun der neue Termin (23.07. – 08.08.2021) festgelegt wurde, können wir die verbleibenden 16 Monate schon etwas konkreter planen. Für die detaillierte Erstellung der neuen Periodisierungszyklen in der Leistungsentwicklung fehlen aber immer noch die wichtigsten Eckpunkte wie beispielsweise das überarbeitete Olympiaqualifikationssystem oder die Termine im Herbst (EM, WM, etc.). Der zweite Gedanke war, dass wir nun von August bis Dezember 2020 zusätzlich fünf Monate hochprofessionellen Spitzensportbetrieb aus unserem aktuellen Budget finanzieren müssen. Das ist eine echte Herausforderung nicht nur für uns, sondern auch für unsere Athleten, die private Planungen zurückstellen und eine weitere komplette Saison dranhängen müssen. Mit Tokyo 2021 verkürzt sich zudem die Vorbereitungszeit für die Olympischen Spiele in Paris/Marseille 2024, sodass wir weniger Zeit haben, in den neuen Bootsklassen wie Kite oder Offshore solide Saisonprogramme aufzugleisen. Wir sind also mit vielschichtigen und langfristigen Veränderungen konfrontiert.
2) Auch die Elite-Seglerinnen und Segler sind aufgrund der Schliessung aller Sportstätten und Trainingsanlagen zu «homeoffice» verdonnert. Was heisst das konkret? Wie trainieren die AthletInnen weiter? Wie motivieren sie sich, wenn kein unmittelbares Ziel sprich Wettkampf ansteht? Welches Ziel haben sie vor Augen?
TR: Das ist keine einfache Situation, aber unsere Athleten sind gewohnt, sich auf alle möglichen Rahmenbedingungen einzustellen und das Beste daraus zu machen. Wir sind jetzt in einer Übergangsphase, d.h. man fährt das Leistungslevel bewusst etwas runter, um in einigen Wochen einen neuen Saisonaufbau zu beginnen. Natürlich rücken jetzt all diejenigen Leistungsfaktoren in den Vordergrund, an welchen sich auch im «Homeoffice» arbeiten lässt; also im Bereich des physischen Konditionstrainings, an mentalen Fähigkeiten, Materialtests und Tuning, aber auch an Leistungsanalysen der vergangenen Trainings- und Wettkampfeinsätzen. Der ein oder andere ist zudem im eSailing unterwegs. Man plant von Woche zu Wochen, aber die feste Struktur im Tagesablauf ist extrem wichtig. Wir wollen unsere Athleten sozusagen «im Thema behalten», ermutigen sie aber auch, mal etwas komplett Neues auszuprobieren. Das hilft, die Lebensfreude und Grundmotivation aufrechtzuerhalten. Das konkrete Ziel heisst also, gut durch diese herausfordernde Zeit zu kommen, um dann wieder voll angreifen zu können, wenn es möglich ist.
3) Wie funktioniert die Kommunikation zw. Trainer und Athleten? 
TR: Das läuft dank der modernen Kommunikationsmittel recht gut. Die Trainer stehen regelmässig mit den Athleten in Kontakt. Auch von unserer Seite sind Telefonkonferenzen und Onlinemeetings geplant und unser Datenmanager Marco Versari bereitet gerade einige Webinare zu verschiedenen Themen vor.
4) Was sind zurzeit die grössten Herausforderungen für dich als Teamverantwortlichen? Für die Trainer? Für die Athleten?
TR: Wir wollen jetzt erstmal eine grösstmögliche Kontinuität in unserem Set-Up bewahren, das gibt Stabilität. Das heisst auch weiterhin unsere erfolgversprechenden Olympiaprojekte bestmöglich unterstützen und die Zusammenarbeit mit unseren Trainern sowie unseren Partnern, Sponsoren und Donatoren fortführen. Wie bereits erwähnt müssen jetzt die dinglichsten Fragen wie die Saisonplanung und die Finanzierung in 2020 sowie die Olympiaqualifikation und die unmittelbare Olympiavorbereitung in 2021 so bald wie geklärt werden. Wir stehen diesbezüglich in engen Austausch mit World Sailing und Swiss Olympic, aber eine gewisse Restunsicherheit schwingt da immer mit, weil sich die Entwicklung der Coronakrise ja schwer abschätzen lässt. Trainer und Athleten sind aufgefordert, möglichst bald ein grundsätzliches 100% Commitment für Tokyo 2021 abzugeben, damit wir gemeinsam die Details einer weiteren Zusammenarbeit ausarbeiten können.
5) Wie stellt SST sicher, dass sowohl im Topbereich wie im Nachwuchsbereich trotz fehlendem Training auf dem Wasser kein Defizit entsteht?
TR: Wassertraining kann man nicht so ersetzen, dass kein Defizit entsteht. Wir können hier lediglich Lösungsideen anbieten, damit das Defizit so klein wie möglich gehalten wird. Technikanalysen im Video, Hängebanktraining oder andere Bewegungssimulationen gehören hier genauso dazu wie das Visualisieren im mentalen Training oder der klassische Regelkundetest. Strategische und taktische Skills können durch die Analyse von SAP Tracking Replays verbessert werden, aber auch das ein oder anderen Buch über Wetter, Strömung oder Aerodynamik ist sicher lesenswert. Je mehr man «im Thema» bleibt, umso schneller kommt man wieder auf sein ursprüngliches Leistungsniveau.
6) Was ist für die Athletinnen und Athleten aus deiner Sicht in der aktuellen Situation das Wichtigste?
TR: Gesund und positiv gestimmt bleiben!
Quelle : Swiss Sailing
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